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Barbro wartete ungeduldig, bis das Faxgerät auch die zweite Seite ausspuckte. Die Stimmen ihrer Kollegen drangen aus dem Besprechungszimmer zu ihr herüber. Ohne auf die Uhr zu blicken, hätte sie die bisherige Dauer der Besprechung nicht einmal schätzen können. Auf dem Weg zurück zu den anderen begann sie, die Antwort des italienischen Außenministeriums in Rom zu überfliegen. Sie blieb zwischendurch stehen, um beim Lesen nicht zwischen den Zeilen hin und her zu rutschen.

Henning und Sten standen rauchend am offenen Fenster. Kjell saß mit Bertil Löfgren am Tisch. Der Ankläger war inzwischen aufgebrochen. Alle starrten sie erwartend an.

„Unser Problem hat sich soeben in Luft aufgelöst“, begann sie. „Dafür haben wir nun ein anderes. Aufgrund der Zeichnung vermuten sie, dass es sich um ihre Mitarbeiterin Fabia Terni handelt. Da vermuten sie richtig.“

„Das verschlimmert unser Problem doch eher“, fand Kjell.

Barbro schüttelte mechanisch den Kopf und versuchte, die richtige Zeile zu finden. „Fabia Terni könne gar nicht dienstlich in Stockholm gewesen sein. Sie hat nämlich Urlaub.“

Alle schwiegen.

„Ist sie immun, während sie Urlaub hat?“, fragte Henning den Fachmann des Außenministeriums vom Fenster aus.

„Das kommt darauf an“, antwortete Bertil.

„So redest du schon den ganzen Abend“, ermahnte ihn Barbro.

„Es kommt nun mal darauf an. Ihr Schutz gilt, solange ihre Mission besteht, auch wenn Wochenende oder Urlaub dazwischenfallen, was ich in der Praxis allerdings noch nicht erlebt habe. Es wäre schlechte Planung. Eine Mission ihrer Art ist wie bei einem Botschafter zeitlich unbegrenzt. Auf der anderen Seite wird immer wieder betont, dass der Schutz nur für dienstliche Belange in Anspruch genommen werden darf. Sie darf sich zum Beispiel keinen Rotwein aus Italien mit Diplomatenpost nach Schweden schicken lassen. Sie darf auch keine Drogen durch den Zoll schmuggeln.“

„Das ist wichtig“, sagte Barbro. „Sie schreiben nämlich, dass Fabia Ternis Aufgabengebiet Skandinavien überhaupt nicht berührt. Auch wenn sie keinen Urlaub hat, führt sie ihre Arbeit als Diplomatin auf keinen Fall nach Schweden. Deshalb ist sie hier gar nicht akkreditiert.“

Bertils Augenbrauen zuckten interessiert und zugleich verwundert, ohne dass sich dabei der Rest seines Gesichts regte. Barbro kam es so vor, als könnte Bertil mit seinen Brauen ganze Gedichte rezitieren.

„Damit wendet sich also wieder alles“, sagte Kjell.

„Das ist in der Diplomatie immer so“, erwiderte Bertil tonlos. „Steht eine Telefonnummer dabei?“

Barbro reichte ihm das Papier.

„Es stammt vom Ständigen Dienst. Am besten rufen wir an.“

Die anderen im Raum stimmten durch Schweigen zu. Bertil griff nach dem Tischtelefon.

Das Einschalten des Lautsprechers erhöhte die Spannung nur. Bertil wählte eine ausschweifende Eröffnung in fließendem Italienisch. Daran schloss sich etwas an, was Barbro als Dank für die Hilfe deutete. Das Gespräch dauerte fast eine Viertelstunde, und Bertil machte dabei kurze Notizen.

„Das hatte ich schon erwartet“, sagte er nach dem Auflegen und seufzte. „Botschafter Maero hat auf jeden Fall gelogen.“

„Ein hartes Wort aus deinem Munde“, kommentierte Kjell.

„Man muss die Dinge durchaus beim Namen nennen. Solange man unter sich ist. Vermutlich weiß man in Rom von all dem nichts und glaubt, dass Fabia Terni hier nur Urlaub gemacht hat. Sie würden Maero nie als Lügner dastehen lassen.“

„Vielleicht ist Fabia ja die Lügnerin“, sagte Sofi. „Sie kann Maero getäuscht haben.“

„Du unterschätzt die Rolle eines Botschafters. Er ist der direkte Vertreter des Staatsoberhauptes. Da kann nicht einfach jemand zu ihm kommen und sich für jemand anders ausgeben. Fabia Terni ist Revisorin und prüft die Haushaltsführung aller italienischen Botschaften in Afrika. Weil sie in dieser Funktion mit Dokumenten reist, hat sie eine hohe Immunitätsstufe. Darin hat Maero durchaus die Wahrheit gesagt. Aber nur darin.“

„Sie kann also nicht zur Botschaft in Stockholm gereist sein, um kryptographische Unterlagen abzugeben?“, fragte Kjell.

„Das halte ich für ausgeschlossen. Das sind ja zwei völlig verschiedene Tätigkeiten. Und in der Regel überlässt man so etwas einem speziell geschulten Agenten in diplomatischem Dienst. Bei uns übernimmt das die Säpo.“

„Hallo!“, rief die atemlose Stimme von Theresa Julander in den Raum hinein. Sie kam gleich zum Tisch und nahm Platz.

„Seht euch mal dieses Foto an!“

Während die anderen auf die Zeitung blickten, behielt Barbro Theresa im Auge. Sie hatte einen Scherz vorbereitet und sich auf diesen Augenblick gefreut. Theresa hatte wie üblich keinerlei Hemmungen gezeigt, hereinzuplatzen und das Thema an sich zu reißen. Doch irgendwie provozierte ihr Verhalten Barbro auf einmal nicht mehr. Ihr war, als sähe sie in einem Puppentheater auf einmal die Fäden.

03 - Der kopflose Engel
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